Mit Beginn meines Ruhestandes im Sommer 2000 habe ich mich u. a. auch mit Familienforschung beschäftigt und die damals selbst erlebten Geschehnisse aus der Erinnerung aufgeschrieben und darüber in der Osteroder Zeitung ausführlich berichtet. Aufgrund der mir daraufhin zugegangenen Anrufe und Berichte wurde ich angeregt, mich mit der Zugkatastrophe bei Grünhagen im Kreis Preußisch Holland in Ostpreußen näher zu befassen. Diese Tragödie hatte zwar nicht die Ausmaße der Großkatastrophen wie die der Flüchtlingsschiffe „Wilhelm Gustloff“, „Goya“ und „Steuben“, war aber für die Betroffenen ebenso schrecklich und traumatisch.
Bei meinen vielen Gesprächen mit Augenzeugen habe ich immer wieder erfahren müssen, dass die damaligen traumatischen Erlebnisse in fast allen Fällen seelisch noch nicht restlos aufgearbeitet wurden. Ich selbst konnte meine Erlebnisse nicht zu Ende erzählen, weil mich die Erinnerung daran gefühlsmäßig überwältigte. Erst, nachdem ich meine Erlebnisse niedergeschrieben hatte und mich seitdem mit dieser Tragödie befasse, kann ich darüber reden. Damals gab es bei tragischen Ereignissen keine Psychologen, im Gegensatz zu heute.
Die mir zugegangenen Augenzeugenberichte und meine eigenen Erlebnisse haben mich bewogen, all dieses in einem Buch zusammenzufassen:
Das Buch „Letzte Flüchtlingszüge aus Ostpreußen“ füllt zum Thema „Flucht und Vertreibung“ für Historiker, Geschichtsinteressierte sowie Heimatvertriebene und deren Nachkommen eine Lücke, denn es handelt sich um eine erste zusammenhängende Darstellung der letzten Flüchtlingszüge aus Ostpreußen.
Trotz ständigen Vorrückens der Roten Armee im Rahmen der am 13. Januar 1945 begonnenen Winteroffensive durften bei Androhung von Strafen weder Fluchtvorbereitungen getroffen noch die Flucht selbst angetreten werden. Eine vorsorgliche Evakuierung der Bevölkerung gab es nicht, sodass die Menschen – mit den schnell vorstoßenden russischen Einheiten im Nacken – überstürzt ihre Wohnungen, Häuser und Höfe verlassen mussten. Die flüchtenden Menschen versuchten wegen der drohenden Einkesselung Ostpreußens, im Treck oder mit den letzten Zügen die rettenden Häfen in der Danziger Bucht zu erreichen. Einige dieser Züge fuhren sogar weiter, und zwar die pommersche Küste entlang u. a. nach Berlin und Sachsen.
Das Buch enthält mehr als 80 überwiegend noch nicht veröffentlichte Berichte von Augenzeugen. Zur Dokumentation und Illustration wurden von den Zeitzeugen auch Fotos und Urkunden zur Verfügung gestellt.
Ich selbst überlebte als fast Achtjähriger vor 66 Jahren das Zugunglück bei Grünhagen. Nach Schätzungen von Augenzeugen haben durch das Zugunglück und insbesondere durch den Beschuss russischer Panzer in die auf dem Bahnhof wartende Menschenmenge mehrere Hundert Menschen ihr Leben verloren. Zudem gab es eine unbekannte Anzahl von Verletzten und Verwundeten. Durch die Blockierung der Eisenbahnstrecke waren mehrere Tausend Flüchtlinge betroffen.
Außer diesem Zugunglück vom 22. Januar 1945 ist die Zeit unter der russischen Besatzung 1945 ein weiterer Themenschwerpunkt der aufgenommenen Zeitzeugenberichte.
32107 Bad Salzuflen, im April 2011
Heinz Timmreck
200 Seiten mit vielen Bildern, zu beziehen über Heinz J. Will, Flaumbachstrasse 32, 56858 Haserich, Tel.: 06545 6152
Anna-Carola Krausse: Lotte Laserstein (1898-1993). Leben und Werk. Berlin: Reimer, 2006. ISBN 3-496-01347-8, ISBN 978-3-496-01347-1
Walkddörfer Kunstverlag, Hamburg, 2003; ISBN 3-00-010652-9
Friedrich Dönhoff / Irene Bauer (Hg.)
Hoffmann und Campe Verlag, Hamburg 2009.
304 Seiten, 22,00 EUR.
ISBN-13: 9783455501186
Klug und einfühlsam ausgewählt von Irene Bauer, ihrer langjährigen Sekretärin, und ihrem Großneffen Friedrich Dönhoff, beide Vorstandsmitglieder der Marion Dönhoff-Stiftung, präsentiert die hier vorgestellte Publikation das Leben der Marion Gräfin Dönhoff dem Leser anhand von Tagebuchaufzeichnungen und Briefen. Zeitliche Abstände zwischen den Aufzeichnungen oder markanten Anlässen der Briefe kommentierten die Herausgeber sparsam und zurückhaltend, jedoch präzise und informativ. Zusätzlich ist das Buch auch noch mit Bildern aus ihrem Leben und einer ausführlichen Zeittafel ausgestattet.
Von der Romreise als Belohnung für das Abitur, über das Studium in Basel und der Absicht, über Marx zu promovieren, die sie sich aber leicht ausreden lässt zugunsten des Themas über die Entstehung des östlichen Großgrundbesitzes von der Ordenszeit bis zur Bauernbefreiung reichen die Stationen. Weiter geht es über die Reisen in ihrem Cabrio mit Schwester Yvonne in die baltischen Staaten und in das südliche Europa, bis hin zur Safari in Afrika anlässlich eines Besuches bei ihrem Bruder in Kenia.
In diesen Tagebuchaufzeichnungen beeindrucken Dönhoffs unabhängiges Urteil fernab von normalen Reiseberichten und ihre Neugierde auf Land und Menschen. Immer wieder fällt ihre Liebe zur Natur und ihr unprätentiöses Auftreten auf. Natürlich fehlen auch nicht die Aufzeichnungen über die Schicksalsschläge während der Nazizeit: Ihr Lieblingsbruder stirbt bei einem Flugzugabsturz als Soldat in Russland, ihr Neffe kommt, genau wie andere Freunde, nicht mehr aus dem Krieg zurück. Dann der berühmte Fluchtritt aus Ostpreußen vor den anrückenden russischen Truppen bis ins Westfälische, der Verlust der Heimat, des Schlosses Friedrichsstein, und der Tod der Freunde um die Widerstandskämpfer vom 20. Juli 1944. Auch die Karriere in der Nachkriegszeit, die Bekanntschaft und oft auch Freundschaft mit Politikern, Wissenschaftlern, Künstlern wie Kissinger, Georg F. Kennan, Helmut Schmidt, Richard von Weizsäcker, Carl Jakob Burckhardt, Michael Gorbatschow, Lew Kopelew und anderen. All das erfährt der Leser in den Aufzeichnungen und Briefen. Dabei werden auch unangenehme Fakten nicht ausgespart. So ist ihre Antwort auf die Anfrage des Spiegels wegen der NSDAP-Mitgliedschaft ihres Bruders Christoph abgedruckt, in der sie seine Begeisterung für die Nazis bestätigt, ebenso die Sympathie des Bruders für die Apartheid, als er in Südafrika lebte. Obwohl dieser Fakt bisher ein Tabu war, beschönigte Dönhoff hier nichts.
(literaturkritik.de, 15. 3. 2010)
DIETER BUHL: Marion Gräfin Dönhoff: Wie Freunde und Weggefährten sie erlebten. btb, München 2008. 416 S., 10 €
Klappentext: Ein Leben wie ein Meisterwerk: Gräfin Dönhoff, die in der Tradition des ostpreußischen Adels aufwuchs, wurde nach ihrer Flucht in den Westen zur bewunderten Journalistin und moralischen Instanz. Dieter Buhl befragte Freunde, Verwandte und Weggefährten, wie sie Marion Dönhoff heute sehen. Die hier gesammelten, teils sehr persönlichen Erinnerungen lassen das Bild einer außergewöhnlichen Frau aufleben, die sich selbst und ihren Idealen immer treu geblieben ist und vielen ein Vorbild war.
Dieter Buhl war über dreißig Jahre lang politischer Redakteur der Wochenzeitung Die Zeit. Der renommierte Journalist war Stipendiat des amerikanischen World Press Institute und wurde mit dem Theodor-Wolff-Preis ausgezeichnet.
Verlagstext:
„Er war ein Mann mit Witz und Humor, der es mit harter Arbeit zu etwas gebracht hat“, so beschreibt ein Zeitzeuge den Farmer Fritz Liedtke, der 1927 nach Südwestafrika auswanderte.Die Liedtkes waren seit zwei Jahrhunderten in Ostpreußen ansässig. Urgroßvater Karl erlebte dort als 32-Jähriger den Ein marsch von Napoleons Truppen. Großvater Friedrich pachtete den Amalienhof bei Quittainen von den Dönhoffs. Vater Gustav bewirtschaftete den Comthurhof, wo 1888 Fritz Liedtke zur Welt kam. Nach Teilnahme am Ersten Weltkrieg und nach Kriegsgefangenschaft in England führte der junge Landwirt das Rittergut bis 1927. Dann wagte mit seiner Frau Marga rethe einen neuen Anfang in Südwestafrika. Auf seiner Farm
Okundura nahe Karibib züchtete er Rinder und Karakulschafe.Während des Zweiten Weltkriegs wurde er als feindlicher Ausän der auf seiner Farm interniert, während zwei Söhne, die in Bad Elster einen Beruf lernten, zur deutschen Wehrmacht eingezogen wurden. Fritz Liedtke starb 1971. Inzwischen wächst in Namibia die vierte Generation heran.
Die Autorin
Helga Tödt, geboren 1946, lebt in Kleinmachnow bei Berlin. Nach Medizinstudium und Promotion an der FU Berlin bildete sie sich zur Fachärztin für öffentliches Gesundheitswesen weiter. Als stellvertretende Amtsärz tin an einem Berliner Gesundheitsamt befasste sie sich mit Sozial- und Umweltmedizin. 1986 wurde sie Lei terin der Gesundheitsbehörde im Landkreis Hameln-Pyrmont. Als Dozentin an den Akademien für öffentliches Gesundheitswesen und Sozialmedizin in Düsseldorf, Berlin und Schwerin engagierte sie sich in der ärztlichen Weiter bil dung. Nach ihrer Pensionierung widmet sie sich der Erforschung von Lebensläufen im Kontext mit der neueren deutschen Geschichte.
Rezension von WERNER PARAVICINI in der FAZ vom 24. 5. 2013:
Vom Jahre 1945 schweigt dieses Buch fast ganz, und doch ist das, was damals geschah, der eigentliche Grund, weshalb es geschrieben wurde. Die Dohnas waren eine gänzlich ostpreußische Familie geworden, eine der ersten in der entlegenen Provinz, neben den Dönhoffs auf Friedrichstein, den Lehndorffs auf Steinort und den Eulenburgs. Nun mussten sie fliehen und verloren all ihre Güter: Schlodien, Lauck, Reichertswalde, Carwinden, das großartige Finckenstein, das prächtige Schlobitten. Die Wende von 1990 änderte daran nichts.
Aus dieser Wunde entstand ein Buch disziplinierter Erinnerung, das weder wehleidig noch revanchistisch, weder ruhmredig noch schüchtern ist. Vor allem: Der Autor ist kein Laie, sondern Fachhistoriker (des fünfzehnten und sechzehnten Jahrhunderts), dem nun, im hohen Alter von fast neunzig Jahren, die Genugtuung zuteil wird, die Frucht jahrzehntelangen Sammelns in der Hand zu halten. Eine von Wehmut durchwehte Schilderung unwiederbringlich vergangener Lebensumstände und Daseinsweisen hatte Alexander Fürst zu Dohna (1899 bis 1997) im Jahr 1989 mit den „Erinnerungen eines alten Ostpreußen“ vorgelegt.
Die zweibändige Ausgabe wurde in Zusammenarbeit mit dem Johann-Gottfried-Herder-Institut in Marburg geplant und sollte dort veröffentlicht werden. Davon wollte man schließlich nichts mehr wissen. Zu viel deutsches Ostpreußen, zu viel deutsches Schlesien? Zu wenig Theorie? Dagegen: welch Reichtum für die Kunsthistoriker, welch dem Historiker gereichter Schatz der Forschung und Erinnerung. Die Fehlentscheidung kommt nun dem Werk zugute, da es bei Wallstein erscheint – als eine Gesamtgeschichte des Hauses, hinreichend detailliert, um der überaus lebendigen Adelsforschung nützlich zu sein, derart geordnet und geschrieben, dass man es vergnüglich lesen kann: „So bewahrt und bewohnt man auch weiterhin das mittlerweile Unzeitgemäße“, oder: „Bei den Dohnas gibt es keine Heroinen, keine als Hexen Verurteilte und keine Geliebten von Königen“ (wie etwa bei den Dönhoffs).
Die Zäsur von 1945 ist an Schärfe und Bedeutung mit einer viel früheren, nicht weniger radikalen von 1402/1408 zu vergleichen. Die seit 1127/1144 bezeugte Familie war ursprünglich in Sachsen zu Hause und befand sich über die reichsunmittelbare Würde eines Burggrafen von Dohna (ehemals Donin) bei Dresden auf dem Wege zu eigener Landesherrschaft. Dazu gehörten die Stadt Pirna, der herrliche Weesenstein und der Königsstein, die Krone Sachsens.
Wie die Burggrafen von Nürnberg aus dem Hause Hohenzollern hätten auch die Dohnas wahre Fürsten werden können. Am Anfang des fünfzehnten Jahrhunderts aber warf sie der Markgraf von Meißen aus ihren Burgen und Herrschaften und vertrieb sie nach Böhmen, Schlesien, die Lausitzen, ins Vogtland, in die Grafschaft Glatz. Dort überlebten Familienzweige bis ins achtzehnte Jahrhundert und ließen ihre Grabsteine zuweilen in tschechischer Sprache beschriften. Der Weg zu souveräner Herrschaft aber war ihnen für immer versperrt. So wurden sie 1900 lediglich Titularfürsten, von Kaiser Wilhelms II. Gnaden, der mit dem Grafen Richard Dohna-Schlobitten befreundet war. Der neue Fürst sei „der erste Parvenu in der Familie“, hieß es damals in der Familie, die seit 1648 Grafenrang besaß und nie ihr Wappen (zwei gekreuzte Hirschstangen) „gebessert“ hat: Die Dohnas wussten stets, wer sie waren, hoher Adel nämlich, und es gelang ihnen, diesen ihren Rang auch in widrigen Zeiten zu bewahren.
Die Erinnerung an den Rechtsbruch von 1402/1408 blieb jedoch beiderseits lebendig. Erschien ein Dohna in Dresden, musste er dem Hofe polizeilich gemeldet werden. Als König Friedrich August von Sachsen im Ersten Weltkrieg sächsische Truppen an der Front besuchte, begegnete er dem General Alfred Dohna-Schlobitten. Da habe er gesagt: „Wir stehen jetzt gemeinsam im Kampf gegen einen äußeren Feind, so wollen wir endlich die über fünfhundertjährige innere Fehde mit einem Friedensschluss beenden“ – und verlieh ihm einen sächsischen Orden. So erzählte es dem Autor im Jahre 1953 Friedrich Christian Markgraf von Meißen, der 1968 verstorbene Sohn des Königs, der damals dabei gewesen war.
Nach Ostpreußen kamen die Dohnas auf wenig spektakuläre Weise: Der schlesische Söldnerführer Graf Stanislas diente seit 1454 dem Deutschen Orden gegen die aufständischen Städte des Landes, erhielt statt Geld ein Dorf, ließ sich im Lande nieder und wurde Stammvater des allein überlebenden Zweiges. Die Dohnas haben im Herzogtum, dann Königreich Preußen eine bedeutende Rolle gespielt, besonders im sechzehnten Jahrhundert und um 1800. Mit den Nassau-Oranien, den Limburg-Bronckhorst und Brederode verschwägert, ließen sie sich von Jan Mijtens und den Honthorsts porträtieren. Sie wirkten in Brandenburg, Dänemark (wo ein Grabmal in Odense von ihnen zeugt), Polen, Schweden, in der Pfalz, im Waadtland unweit Genf und Bern (Coppet gehörte zeitweilig ihnen, bevor es, neu errichtet, unter Madame de Staël zum Treffpunkt der europäischen Elite wurde).
Nach Frankreich eilten sie den bedrängten Protestanten zu Hilfe, wurden Statthalter in Orange oder brandenburgischer Gesandter in Paris. In Italien erinnern Grabsteine in S. Romano zu Lucca und S. Antonio zu Padua an Söhne der Familie: Der eine war mit Kaiser Karl IV. über die Alpen gezogen, der andere starb zweieinhalb Jahrhunderte später auf Kavalierstour im Alter von nicht einmal zwanzig Jahren.
Das vorliegende Werk präsentiert sich geradezu als Familienunternehmung: Der Vetter Alexander, der letzte Herr von Schlobitten, hat großen Anteil an der Vorstellung der „Häuser“ der Familie, die im zweiten Band beschrieben werden, so wie sie einmal waren und wie sie heute sind: teils restauriert, zumeist verschwunden. Die Schwester Ursula steuerte einen Beitrag über Parks und Gärten bei, für die das Gleiche gilt. Lothar Dohna schrieb den ausführlichen chronologischen Teil. Die Abbildungen zeigen nicht nur Zerstörtes oder Verschollenes. Aus Schlobitten gerettet wurde der Familie eine von Melanchthon gewidmete Bibel oder Protokolle des pietistisch-herrenhuterisch inspirierten „Schild-Ordens“. Anderes blieb in Ostpreußen und schmückt die Archive und Museen in Allenstein (Olsztyn) und Mohrungen (Morag). Oder es kam nach Berlin ins Geheime Staatsarchiv preußischer Kulturbesitz oder gehört jetzt der Stiftung Preußische Schlösser und Gärten und wird im ehemals Dohnaschen Schloss Schönhausen ausgestellt.
Weshalb dieses Buch? Festhalten, was untergegangen ist und vergessen zu werden droht, jetzt, da die Letzten, die die alte Zeit noch gekannt haben, dahingehen. Zeigen, welche kulturellen Leistungen ein solches Haus vorzuweisen hat. Dokumentieren, in welch europäischen Dimensionen der hohe Adel sich bewegte. Natürlich dient dies alles bewusst und unbewusst der Rechtfertigung einer vergangenen Existenz. Aber solche Anliegen sind legitim, die Gefühle sind sehr zurückgenommen, Ansprüche werden nicht erhoben. Während in den neuen Bundesländern der Adel seine Güter oft zurückkaufen kann und seine Schlösser restaurieren, ist dies dem ostpreußischen versagt. Adel ist Herkommen, Kontinuität, Gedächtnis. Wenn ein Historiker sich darüberbeugt, wird daraus Geschichte.
Die Gegenwart entdeckt, dass die politisch entmachtete Aristokratie nach wie vor eine soziale Elite darstellt, die durch die Erinnerung an die ehemaligen Ostgebiete in der Öffentlichkeit besonders präsent ist („mediale Erinnerungsgruppe“ hat man das genannt). Dabei geht es nicht nur um das Bild der allgegenwärtigen Veruschka von Lehndorff, sondern mehr noch um Marion Gräfin Dönhoff, deren immenser Nachlass gerade von einer deutsch-britischen Forschergruppe ausgewertet wird.
Rückhaltlos wird über die Anhänger des Nationalsozialismus in der Familie berichtet, die es insbesondere im Zweig Reichertswalde gab, wo das Hitler-Porträt im Treppenhaus hing. Zeitweilig gehörten auch Herrmann auf Finckenstein und Fürst Alexander zu den Anhängern. Doch grenzt sich der Autor behutsam von Stephan Malinowskis summarischer Adelsschelte ab („Vom König zum Führer“, 2003). Gewidmet ist das Werk seinem Vater, Heinrich Graf zu Dohna-Schlobitten, der 1944 seines Widerstandes gegen Hitler wegen in Plötzensee hingerichtet wurde.
Die Schlösser der Familie zu Dohna in Ostpreußen, vor allem Schlobitten, Schlodien, Finckenstein, Reichertswalde und Carwinden, gehörten zu den kulturellen Höhepunkten der adligen Herbergen in dieser östlichen Provinz. Vor nicht allzu langer Zeit erschienen bereits die Bücher “Waldburg – Capustigall” von Hans Graf zu Dohna und “Die Dohnas und ihre Häuser” von Lothar Graf zu Dohna. Nun erweitert Torsten Foelsch diese Reihe um die Schlösser in Schlodien und Carwinden, wobei das eine Ruine und das andere verschwunden ist.
Obwohl nahezu die gesamte Ausstattung der Schlösser und die meisten Teile der Archive zerstört oder als Kriegsbeute abtransportiert worden sind, konnte Torsten Foelsch immer noch etliche Details aus den in Polen und Deutschland verstreuten Unterlagen zusammen tragen. Zur Familie zu Dohna und zu ehemaligen Gutsangestellten oder deren Nachfahren konnte er so gute Kontakte herstellen, dass ihm eine Fülle von Fotografien und Dokumenten sowie Augenzeugenberichte zur Verfügung gestellt wurden. Alles dieses hat er zu einer bemerkenswerten Gesamtschau der Schlossgeschichte Schlodiens und Carwindens vom Ursprung bis in unsere heutige Zeit verarbeitet. So zahlreiche Porträts sind abgebildet, wie sie in keiner Suchmaschine der Welt zu finden sind. Die diversen Innenansichten befruchten die Vorstellung, die man vom Leben in diesen Häusern bekommen kann und machen insbesondere im unmittelbaren Vergleich mit dem heutigen Zustand deutlich, was uns allen verloren gegangen ist. Neben den ausführlichen Chroniken von Schloss Carwinden und Schloss Schlodien gibt es ausführliche Beschreibungen ihrer Bewohner.
Da Schlodien erst 30 Jahre nach dem 2. Weltkrieg ausbrannte, hatten polnische Denkmalschützer noch rechtzeitig Gelegenheit gefunden, die Räume des Schlosses zu vermessen und insbesondere die Gestaltung der Decken genau zu kartographisieren. In Verbindung mit alten Innenansichten besteht deshalb die großartige Möglichkeit, aus der noch vorhandenen Ruine den ursprünglichen Zustand des Hauses zurück zu gewinnen. Ob das verwirklicht wird, bleibt abzuwarten.
In einem weiteren Kapitel des Buches beschreibt Ursula Gräfin zu Dohna den Park von Schlodien vom barocken Zustand des Anfangs bis in die Zeit vor dem 2. Weltkrieg und Elisabeth Dreischhoff, geb. Gräfin zu Dohna, gibt einen Erlebnisbericht von ihrer Jugendzeit im Park von Schlodien.
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Die Dohna-Schlösser Schlodien und Carwinden im preußischen Oberland, deren Kulturinhalte durch das Kriegsende und die Vertreibung 1945 ausgelöscht worden sind, gehörten zu den bedeutendsten Schlossanlagen der preußischen Kunst- und Architekturgeschichte. Sie sind in einer Reihe mit den großen Barockbauten zu nennen, die zur Zeit der beiden ersten preußischen Könige, Friedrich I. und Friedrich Wilhelm I., entstanden sind: Friedrichstein, Schlobitten, Finckenstein oder Dönhoffstädt. Wie Schloss Friedrichstein, so ist auch Schlodien ein Werk des genialen Jean de Bodt, dem Architekten des Berliner Zeughauses.
Torsten Foelschs jüngst erschienene Monografie über diese beiden Schlossbauten bietet einzigartige Bilder und Geschichten aus der versunkenen Welt des ostpreußischen Adels. Eingebunden in die Familiengeschichte eine der berühmtesten ostpreußischen Adelsfamilien, der Grafen zu Dohna, werden zwei ihrer wichtigsten Schlösser zum ersten Mal auf Grundlage neuer archivarischer Forschungen dargestellt.
Neben vielen bislang nie publizierten, einmaligen historischen Außen- und Innenaufnahmen dieser Schlösser werden erstmals auch wertvolle Ahnenbilder vorgestellt, die von polnischen Kunsthistorikern und Museologen nach dem Krieg aus den gebrandschatzten und geplünderten Dohna’schen Schlössern geborgen wurden. In schwierigen Nachkriegsjahren konnten sie restauriert werden und sind der Öffentlichkeit heute in den neu eingerichteten Museen des Ermlandes und Masurens wieder zugänglich.
Das Buch ist ein wehmütiger und fesselnder Schwanengesang auf zwei ostpreußische Barockschlösser und ihre einstigen Bewohner – ein Erinnerungswerk an zwei herausragende Baudenkmäler, von denen immerhin Schlodien noch als Brandruine existiert.
(PAZ, 25. 7. 2014)